Im Bereich der Lehrer(weiter)bildung existiert ein kaum überblickbarer
Wust von Angeboten höchst unterschiedlicher Qualität – kann man das
guten Gewissens unseren Kindern und Lehrkräften zumuten?
Zur Lage
Regelmäßige und sachgerechte Lehrerfortbildung (LFB) muss wichtiger Bestandteil des Bildungssystems sein. Sie sollte das Wissen der Lehrkräfte aktualisieren, ihre unterrichtlichen Kompetenzen erweitern, ihre Arbeitszufriedenheit erhalten oder gar erweitern – und letztlich zu besseren Schülerleistungen führen.
Eine Studie der vorigen Landesregierung beurteilte 2019 das über Jahrzehnte gewachsene System der LFB in NRW als verkrustet und höchst suboptimal: Weiterbildung für Lehrkräfte finde zu selten statt, passe vielfach nicht zu den Bedarfen – und sei chaotisch organisiert. Zur Studie
Mittlerweile hat die Schulministerin einen 6-Punkte Plan vorgestellt, um LFB verpflichtender und relevanter zu machen. Dies ist sicher grundsätzlich sinnvoll, aber man wird das Ergebnis kritisch beobachten müssen. Denn wenn es vorrangig um „Digitalisierung, Inklusion & Integration“ geht, würde ja das Entscheidende fehlen: die Unterrichtsqualität im Fachunterricht, insbesondere die zunehmend geschwächte Steuerungskompetenz vieler Lehrkräfte. Ohnehin bleibt bei allen Bereichen die Frage, inwieweit Inhalte und Methodik evidenzbasiert, also durch unabhängige Forschung gesichert sind. Pressemitteilung
Bislang warben die mit LFB beauftragten 53 Kompetenzteams des Landes etwa „für eine neue Lehr- und Lernkultur“. Von acht Programmen zielte aber nur eines auf Unterrichtsqualität i.e.S. – und bei diesem stand „Selbstgesteuertes Lernen“ an erster Stelle, an letzter hingegen die Steuerungskompetenz der Lehrkräfte. Gerade diese aber ist vielfach defizitär und bedarf professioneller Konsolidierung – sei es in Fragen der Unterrichtsmethodik, sei es bzgl. der Klassenführung.
♦ Ein Grundgesetz für Lehrkräfte ?
Lehrer haben ja in besonderer Weise mit unserem Gemeinwesen und unserer Zukunft zu tun – wir vertrauen ihnen immerhin unsere Jugend an. Ob es deshalb nicht – neben den Richtlinien und Dienstordnungen der Länder – einige Basisregeln für die pädagogische Zunft geben sollte? Ein Vorschlag (Auszug) – weitere Artikel sowie Begründungen hier
Artikel 1: Lehrkräfte sind pädagogische Führungsfiguren.
Artikel 2: Skepsis ist eine der wichtigsten Eigenschaften von Lehrkräften.
Artikel 3: Es gibt viele Möglichkeiten, lernwirksam zu unterrichten.
♦ Was wäre gute Lehrerweiterbildung ?
Den Befunden der jüngeren Unterrichtsforschung zufolge (gerade auch: Hattie-Studie) müssen Lehrpersonen souveräne, aktivierende und feinfühlige Führungskräfte sein. „Im Zentrum [guten Unterrichts, d.V.] steht ein Lehrer, für den allerdings seine Schüler im Zentrum stehen. Er muss ihr Lernen sehen können, um sein Lehren daran orientieren zu können.“ (Terhart, 2011)
Einstiegsanspruch für Lehrerweiterbildung müsste sein, das relevante Unterrichtswissen der Lehrkräfte auf den neuesten Stand bringen. Aber nicht als Selbstzweck: Das Wissen soll sich auch auswirken – die Qualität des unterrichtlichen Handelns soll steigen. Letztlich wird man erst zufrieden sein dürfen, wenn sich auch die Lernleistungen der Schüler verbessern – oder gar deren Lernmotivation und Sozialverhalten. Diese Wirkungsstufe stellt sich allerdings nicht im Handumdrehn ein. Denn selbst wenn neue Wissensinhalte und Verhaltensmuster sinnvoll sind: Die Lehrkräfte müssen sie in bereits etablierte subjektive Theorien und Gewohnheiten implementieren.
Fachartikel („LFB lernwirksam gestalten – Forschungsüberblick“, Lipowsky & Rezjak, 2016 [S. 5-9])
Wer möglichst lernwirksam unterrichten möchte, sollte sich in
folgenden Bereichen professionalisieren können:
¤ Befähigung zu lernwirksamen Unterrichtssequenzen
¤ Stabilisierung des eigenen Wirksamkeitsempfindens
¤ Rehabilitierung pädagogischer Führungsfreude
¤ Ausweitung pädagogischen Feingefühls
¤ Etablierung einer individuellen Evaluationshaltung
Ein mögliches Szenario hierzu: Schulverwaltung spezial 4/2017 (Vollversion auf Anfrage).
♦ Hoffnungsschimmer: videobasierte Lehrmodule zur Theorie-Praxis-Integration
Davon konnte die Lehrerbildung früher nur träumen: jede Menge optisch scharfer Videos von Unterrichtsstunden, die man zwecks Vorbild und Analyse in Seminaren und Fortbildungen als Lernmittel einsetzen kann. Die Videos sind kommentiert, sie enthalten das evidenzbasierte Wissen über guten Unterricht – gefördert von EU und Bundesregierung, aus Projektverbünden mehrerer Universitäten entstanden, kaum ein Fach; kaum ein Thema, das nicht kompetent behandelt wird. Zwei anstoßgebende Seiten der Universität Münster hier und hier. Diese Projektverbünde retten die Bildungsforschung vor dem Vorwurf, nichts für die Praxis getan zu haben – noch deutlicher: Diese videobasierten Lehrmodule leisten für die Verbesserung des Unterrichts mehr als alle PISA Studien zusammen. Weitere Portale: hier hier hier hier
♦ Schulentwicklung gescheitert ?
In vielen Bundesländern zeigen deutsche Schüler am Grundschulende, beim Mittleren Schulabschluss sowie im Abitur teilweise gravierende Kompetenzdefizite – Tendenz steigend. Und NRW ist im Ländervergleich regelmäßig unter den Schlusslichtern zu finden (zuletzt: Bildungsmonitor IDW 2021). Mitverantwortlich dafür sind frühere Schulentwicklungskonzepte, die die Schüler idealisierten (Wellenreuther 2009) oder das Organisatorische überschätzten (Schlee, 2013).
Dabei könnten unsere Schüler mehr. Und größere Unterrichtsqualität im Alltag wäre relativ einfach zu haben – und damit auch mehr Lernerfolg der Schüler sowie Berufszufriedenheit der Lehrer: durch Orientierung der Lehr-Lern-Methodik an der aktuellen Unterrichtsforschung – sowie durch stärkere Fokussierung der Beziehungsqualität im Unterricht. Praxisbericht FAZ 22.10.2018