Unterrichtsqualität

 

Wie steht es eigentlich um die Qualität des Unterrichts in unseren Schulen?
Muss NRW bei Vergleichsstudien zwangsläufig zu den Schlusslichtern zählen –
oder gibt’s auch offizielle Irrtümer darüber, was guter Unterricht ist?

Zur Lage

Im jährlichen Bildungsmonitor des Instituts der Deutschen Wirtschaft belegt das Schulwesen in NRW derzeit (2021) insgesamt Platz 12 von 16. Auch den letzten IQB-Studien zufolge liegen die Schülerleistungen dabei auf Platz 12, allerdings gibt es bedeutsame Unterschiede nach Fächern: Lesen/Mathematik in Klasse 4 Platz 14/13 (2016/2021), Mathematik in Klasse 9 Platz 9, Naturwissenschaften in Klasse 9 Platz 10 (je 2018).
Dabei sind Kompetenzwerte von Grundschulkindern seit 2011 stetig gesunken (IQB-Bildungstrend 2021), auch bundesweit. Inwieweit dies eine Folge ungenügender Unterrichtsqualität, von Wechselunterricht und Schulschließungen oder von Mehrbelastung durch Integration und fortschreitende Inklusion ist, wird derzeit debattiert.

Der Anteil erfolgreicher Absolventen von Berufsfachschulen, Fachoberschulen und Fachschulen sowie aus der Berufsvorbereitung ist in NRW vergleichsweise gering. Und die Wirtschaft klagt seit geraumer Zeit über mangelhafte Kenntnisse von Schulabgängern.
Die gelegentlich angeführte Armutsentwicklung im Land kann für diese Lage kein primärer Grund sein – in wesentlich ärmeren Staaten werden bessere Schulleistungen erzielt.


♦ Was ist eigentlich ‚Unterrichtsqualität‘?

Wie lernwirksam Unterricht ist, hängt weniger von Oberflächenmerkmalen ab (Plenumsunterricht oder Gruppenarbeit), sondern von seiner Tiefenstruktur: dem Ausmaß an kognitiver Aktivierung der Lernenden, der Unterstützungsqualität des Lernklimas sowie einer störungspräventiven Klassenführung. http://bildung-nrw-da-geht-doch-mehr.info/wp-content/uploads/2022/03/NRW-UQ-2-scaled.jpg

Diese Grundpfeiler hat auch die XXL-Metastudie visible learning von John Hattie (2009, dt. 2013) unterstrichen, auf bislang einmaliger Datenbreite (erweiterte Liste von 2017 mit über 250 Faktoren hier) [fortgeschriebene Liste von 12/2019 mit über 300 Faktoren hier]. In der Fülle der hier gefundenen Trends besonders relevant:
¤ Vorrangig kommt es auf die Professionalität der Lehrkräfte an, kaum auf schulische Strukturen!
¤ Lernerfolg wird stark beeinflusst von der emotionalen Dimension des Lehrer-Schüler-Verhältnisses.
¤ Der Umgang mit digitalen Hilfsmitteln wird immer wichtiger – erschließt aber keine neue Dimension des Lernens.

Fachartikel zum Thema (Auswahl):
#   Direkte Instruktion – hässliches Entlein der Pädagogik?   (Wellenreuther, 2016)
#   Lob der Klasse:   Aktivierender Plenumsunterricht – ein lernpsychologischer Hit (Felten, 2014)
#   Kooperativ lernen – aber wie?     Teil 1     Teil 2   (Wellenreuther, 2014)
#   Individualisierung?   Weder alle immer dasselbe noch jeder dauernd sein Eigenes …  (Helmke, 2011)
#  ‘IT und Lernen’ auf dem Prüfstand der empirischen Unterrichtsforschung (Felten, 2019)


♦ Hausaufgaben verboten?

Im Mai 2015 (also durch die Vorgängerregierung) wurde in NRW das Erteilen regelmäßiger Hausaufgaben (HA) an Ganztagsschulen per Erlass untersagt, an den anderen Schulen stark eingeschränkt. Die Folge: Schüler verfügten pro Woche über bis zu 5 Stunden weniger Gesamtlernzeit als vor diesem Erlass. Viele Schulen bewältigen diesen Missstand, indem sie etwa Vokabellernen oder das Üben für Tests nicht als HA bezeichnen, sondern als Vor- oder Nachbereitung des Unterrichts. Eigentlich gilt der Erlass aber weiterhin.

Dabei stellen HA eine der wenigen Gelegenheiten für Schüler dar, ihre Selbständigkeit zu erproben. Und die XXL-Metastudie „visible learning“ (2009 ff.) von John Hattie hat HA in der Sekundarstufe, also bei älteren Schülern, gar überdurchschnittliche Lernwirksamkeit attestiert (d = 0,58). Dagegen war eine Meinungsbefragung der TU Dresden von 2008, wonach HA nichts brächten, nicht repräsentativ und hatte keinerlei Aussagekraft.


♦ Kleinere Klassen unnötig?

Aus der Hattie-Studie wird gerne ‚berichtet‘, kleinere Klassengrößen brächten nichts – aber die dort aufgeführte lediglich moderate Positivwir­kung (d = 0,21) bezieht sich nur auf Klassengrößen von 25 bis 35 Schülern. Hingegen attestiert Hattie dem Merkmal „Lernen in Kleingruppen“ eine relativ hohe Wirksamkeit (d = 0,49). Lt. Bach & Sievert (2018) [Pressemitteilung, Kurzbericht] führen kleinere Klassen zu besseren Leistungen in Deutsch & Mathematik, und die Wiederholerquote sinkt. Aus anderen Studien (etwa STAR- oder SAGE-Projekt) weiß man zudem, dass Klassenstärken unter 17 den Lernerfolg deutlich steigern, insbesondere für Kinder aus benachteiligten Familien (Möller 2013).


♦ Richtig schreiben – rehabilitierte Schlüsselkompetenz !

2019 hat Schulministerin Gebauer – wie einige andere Schulministerien auch – die Grundschulen durch eine neue Handreichung (samt verbindlichem Grundwortschatz) auf effektiveren Rechtschreibunterricht verpflichtet.

Dies geht nicht zuletzt zurück auf die Befunde einer breit angelegten Studie an der Uni Bonn (Kuhl & Röhr-Sendlmeier, 2018), wonach Grundschüler Orthografie am besten nach der klassischen Fibelmethode lernen, also erst Buchstabe für Buchstabe und dann ganze Wörter. Diese Methode war in den letzten Jahrzehnten zunehmend als ‚überholt‘ (weil zu anleitend) außer Gebrauch geraten.    Bericht     Studie

In diese Richtung wies bereits die Bilanz einer für Deutschland einzigartigen Längsschnittstudie an der Uni Siegen (Steinig 2013): „Schreibfähigkeit von Grundschülern leidet unter zu lockerem Unterricht.“ Die Fähigkeit zu orthografisch und grammatikalisch normgerechter Schreibweise habe im Durchschnitt stark abgenommen, vor allem bei Kindern aus bildungsferneren Schichten. Gleichzeitig produzierten Kinder heute teilweise längere, differenziertere und lebendigere Texte – aber nur solche aus der Mittel- und Oberschicht …  Fachartikel   ZEIT 21/2013


Misst die offizielle „Qualitätsanalyse“ (QA NRW) wirklich Qualität ?

2019 hatten die Regierungspräsidenten des Landes die Schulministerin aufgefordert, am bisherigen Instrument der externen Evaluation (umgangssprachlich: „Schulinspektion“) festzuhalten. Dabei steht das hiesige Verfahren QA begründet und zunehmend in der Kritik: Der tatsächliche Kompetenzerwerb der Schüler sowie die Arbeitsbedingungen der Schulen werden zu wenig gewürdigt, einzelne Lehrkräfte erhalten kaum brauchbare Rückmeldung, die Kriterien sind nur bedingt aussagekräftig.

Andere Bundesländer unterstützen ihre Schulen bei der Unterrichtsentwicklung denn auch bereits anders. In Schleswig-Holstein etwa (lt. INSM-Monitor Platz 5 von 16) wird lediglich ein freiwilliges „Schulfeedback“ angeboten – mit einem ebenso sparsamen wie forschungsbasierten Unterrichtsbeobachtungsbogen. Dort ist auch nur (schülerzahlbereinigt) ein Sechstel der Lehrkräfte als Schulentwicklungsberater tätig, die in NRW dem normalen Unterricht nicht zur Verfügung stehen.

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