Notengebung

 

Leistungsbewertung durch Noten kann nie völlig objektiv sein – aber muss
Notengebung in der Praxis wirklich so beliebig sein, dass ein und dieselbe
Schülerleistung hier befriedigend genannt wird, dort aber mangelhaft?

Zur Lage

¤ Beispiel Grundschulempfehlung
Derzeit entscheidet über die Aufnahme in Realschule oder Gymnasium i.W. der Elternwille. Möchten die Eltern von der Grundschulempfehlung abweichen, so werden sie zu einem Beratungsgespräch verpflichtet.
Die tatsächliche und prognostizierte Eignung des Kindes bildet damit
bislang keine verbindliche Grundlage der Schullaufbahnentscheidung. Diese Eignung wäre aber durchaus feststellbar, etwa durch valide Tests im Verlauf der vierten Klasse – oder standardisierte Aufnahmeprüfungen der weiterführenden Schulen. In Zweifelsfällen wäre ein Probehalbjahr denkbar.

¤ Beispiel Heterogenität
Nichtgymnasiale Schulen können derzeit nicht ohne Weiteres in den Kernfächern (D, E, M) Niveaukurse einführen. Solche würden aber eigungsgerechteres Lernen ermöglichen – und damit höheren Schulerfolg und -zufriedenheit der Schüler. Binnendifferenzierender Unterricht ist teilweise möglich, kann in kumulativen Fächern aber letztlich nicht zielgleich sein.

¤ Beispiel Schulwechsel
Derzeit können Schüler, die in Realschule bzw. Gymnasium die Jahrgangsstufe 7 ’so gerade noch‘ erreicht haben, bis Ende Sek I an dieser Schulform verbleiben – auch wenn sie in diesen vier Jahren leistungsmäßig immer stärker abfallen. Die damit einhergehende Spreizung der Fähigkeiten in den dortigen Klassen hat schwerwiegende Folgen für den Lernzuwachs und den Entwicklungsverlauf aller Kinder.
Schüler, die den Anforderungen der gewählten Schulform längerfristig nicht genügen, müssten (bis Ende Klasse 9) leichter einer Schulform zugewiesen werden können, an der sie erwartbar bessere Noten erzielen – diese Entscheidung könnten die jährlichen Zeugniskonferenzen fällen. Umgekehrt könnte bei überraschender Positiventwicklung eine anspruchsvolle Sonderprüfung späten Aufstieg ermöglichen.


♦ Reizthema Grundschulempfehlung

Spätestens ab der Pubertät steigen die Leistungsdifferenzen zwischen Schülern stark an. Am besten entwickeln sie sich dann in einer gemäßigt heterogenen Bezugsgruppe. Wenn über die Wahl der weiterführenden Schule aber i.W. der Elternwille entscheidet, steigert dies die Bildungsungerechtigkeit. Denn Eltern mit höherem Bildungsgrad missachten häufig Empfehlungen zu einer ’niedrigeren‘ Schulform, während bildungsferner sozialisierte Eltern oft ‚höheren‘ Empfehlungen nicht folgen.     (Lohmann/Groh-Samberg 2010)

Dabei kommt den Gutachten der Grundschule in der Regel hohe Aussagekraft zu. Würde man diesen vertrauen, wäre insbesondere bei talentierteren Schülern ‚unterer‘ Schichten ein höheres Leistungsniveau zu erwarten, wie neuere Untersuchungen zeigen.     (Esser/Seuring 2020)
Interview Dt. Schulportal     Bericht n4t     Kurzdarstellung     zur Studie


♦ Gute Noten – gute Leistungen ?

Nach Einführung der ‚Kompetenzorientierung‚ kam es zu eigentümlichen Phänomenen. So konnten hessische Neuntklässler auch ohne fachliches Vorwissen die Abiturklausur eines NRW-Biologiekurses weitgehend erfolgreich bestehen, wie der Frankfurter Biodidaktiker Hans Peter Klein in einem aufsehenerregenden Experiment zeigte (Details hier, S. 5/6).

Auch die bisherigen Schritte in Richtung Zentralabitur – zwecks höherer Vergleichbarkeit der Abiturnoten – sind weitgehend Makulatur: Nur in den Kernfächern D/M/E ist jeweils nur eine Teilaufgabe von den Schülern der beteiligten Bundesländer gemeinsam zu bearbeiten – was lediglich einen minimalen Anteil an der Gesamtnote darstellt.

Jüngst kam es wieder trotz Pandemie zu Bestnoten im Abitur – ob aus verbreiteter pädagogischer Mildtätigkeit oder zwecks Aufwertung des suboptimalen Distanzunterrichts, das harrt weiterer Untersuchung …

NRW ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall – aber das Land kann auf eine lange Tradition des Kaschierens mäßiger Leistungen zurückblicken …


♦ Die Endnote im Abitur – Ländersache total ?

Der ehemalige Mathelehrer Günter Germann aus Halle hat 2013 nachgerechnet: Selbst wenn identische Noten im Zeugnis stehen, fällt die Endnote je nach Bundesland erheblich anders aus. Bei Beispielschüler Paul etwa stünde in sechs Ländern sogar eine 1 vor dem Komma, in Sachsen-Anhalt hingegen wäre er damals gar nicht zum Abitur zugelassen worden (NRW 2,1; Bayern 2,3).

die Daten     Bericht FAZ     Bericht SVZ     Fachbeitrag GBW


♦ Neue Prüfungsformate?

In der Pandemie war Prüfen erschwert – aber muss man deshalb gleich das Prüfungswesen generell aufweichen? Manche rufen derzeit nach „alternativen Prüfungen“: jeder solle dann geprüft werden, wenn er sich reif fühlt; beliebige oder bestimmte Hilfsmittel sollen zugelassen sein; Kooperation mit Mitschülern oder Zwischenfeedback der Lehrenden seien ausdrücklich erwünscht.

Hier wird offenbar Lernen und Leisten verwechselt bzw. vermischt. Nur könnten ’schwächere‘ Bundesländer wie NRW an solcher ‚Magie‘ Gefallen finden. Denn natürlich lassen sich per Kollaboration leicht bessere Noten erzielen. Die KMK indes mahnt insoweit wissenschaftliche Überprüfung an – „auch um die Vergleichbarkeit von Schülerleistungen und Chancengerechtigkeit zu gewährleisten“ (S. 14). Denn Schule muss letztlich ‚zurechenbare Eigenleistung‘ beurteilen …

Der Philologenverband etwa betont deshalb „die gar nicht zu leugnenden Stärken der klassischen Klassenarbeit oder Klausur, also von Formaten mit einheitlicher Aufgabenstellung und einheitlicher Bearbeitung durch eine ganze Lerngruppe“: belastungsmäßig seien sie halbwegs verträglich, gegenüber Fremdhilfen hinreichend abschirmend, bei Ziffernnoten an Eindeutigkeit schwer zu überbieten – und gerade so auch einer juristischen Überprüfung zugänglich. (profil 10/2021)